AWAY von Netflix ist keine harte Science Fiction

AWAY von Netflix ist nicht Hard Sci-Fi, sondern Science Fantasy.

Normalerweise verfasse ich keine Reviews, aber „Away“ hat bei mir einen Nerv getroffen. Es wird als harte Science Fiction vermarktet, also als wissenschaftlich korrekt, aber das ist gelogen. „Away“ ignoriert Physik und ist daher Science Fantasy, genau wie Star Wars/Star Trek. Nur weniger spannend.

Warum ignoriert es Physik? Weil die Charaktere per Handy und Tablet mit der Erde telefonieren. Ohne Latenz, unabhängig von der Lichtlaufzeit. Und sie telefonieren unablässig, pausenlos, sie tun kaum etwas anderes, als zu telefonieren. Und zu skypen. Mit Überlichtgeschwindigkeit.

Die Sache mit den Handies nervt mich nicht so sehr, das ist technisch kein Problem (WLAN an Bord, Richtfunk-Relais zur Erde). Über die Null-Latenz komme ich aber nicht hinweg. Anscheinend gibt’s einen Punkt, ab dem keine direkte Kommunikation mehr möglich ist, wie ein Off-Schalter. Statt stetig zunehmender Latenz ist ab Tag X keine direkte Kommunikation mehr möglich. Das ist physikalisch unmöglich und zerstört jeglichen Anschein von Realismus. Wahrscheinlich haben die Macher der Show sich dafür entschieden, Lichtlaufzeiten aus dramaturgischen Gründen zu ignorieren. Dabei hätte gerade dieses Detail entscheidend zum Realismus beitragen können. Die wachsende Latenz würde das Gefühl der Abgeschiedenheit vervielfachen und für dramaturgische Komplikationen sorgen.

Davon abgesehen ist die Show langweilig. Die Crew ist unprofessionell und unglaubwürdig. Zwei Unfälle und zwei medizinische Notfälle in den ersten Wochen der Reise? Die Crew kann sich gegenseitig nicht ausstehen? Wirklich? Werden Astronauten nicht einem psychologischen Screening unterzogen? Bei einer dreijährigen Mission ist das essenziell. Ruhige und überlegt handelnde Menschen sind hier gefordert, die psychologisch stabil und berechenbar sind. Aber statt dessen haben sämtliche Mitglieder der Crew irgendwelche familiären Notfälle auf der Erde – in der Realität würde man diese Menschen nicht einmal zusammen in einen Aufzug stecken, geschweige denn für drei Jahre auf engstem Raum in ein Raumschiff fernab der Erde.

Die sich schon in den ersten Wochen der Reise entwickelnden Familiendramen auf der Erde sind langatmig, langweilig und vorhersehbar. Außerdem gibt es in AWAY wieder die typischen Token-Minderheiten, die auf jeden Fall in jeder Serie des 21. Jahrhunderts vorkommen müssen, damit der Twitter-Mob sich nicht aufregt – ein farbiges Crewmitglied mit weißer Mutter, insgeheim lesbische Chinesin, mehrere behinderte Charaktere, jegliche Schlüsselrolle von Frauen besetzt. Das wäre alles schön und gut, wenn es plausibel wäre. Diese Anhäufung von Repräsentation ist es nicht; die Charaktere sind nicht gut genug, um das glaubhaft zu machen.

Sehr enttäuschend. Apples „For All Mankind“ geht in eine ähnliche Richtung wie „Away“, ist dabei aber sehr viel geschickter im Umgang mit seiner Prämisse. Würde mich wundern, wenn „Away“ eine zweite Season erhält.